Novaesium, alias Neuss

Völkerwanderung: Die Germanen dringen ins römische Imperium

von Gerhard Wirth 
I. Einleitung V. Hunnen, Germanen, Römer
II. Vorformen und Voraussetzungen VI. Das Ende der Epoche I
III. Der große Sturm VII. Das Ende der Epoche II
IV. Die germanischen Stämme VIII. Literatur und Verweise

VI. Das Ende der Epoche II - Langobarden und Baiern setzen den Schlusspunkt


Langobarden
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An der Donau hatten die aus dem östlichen Germanien eindringenden Langobarden die Sitze der Rugier eingenommen, gerieten aber zeitweise unter die Oberhoheit der östlich davon siedelnden Heruler. Doch gelang es ihnen, diese abzuschütteln (508); die östlichen Heruler verschwanden danach aus der Geschichte. Ein Teil wurde in Byzanz aufgenommen, ein anderer zog in die skandinavische Heimat zurück, ein Rest wanderte mit den Langobarden in Italien ein.

Schwere Kämpfe zwischen Langobarden und Gepiden im heutigen Siebenbürgen in den folgenden Jahren hatten vor allem dynastische Gründe, doch war indirekt als Partner der verschiedenen Seiten auch Byzanz beteiligt. Die Gepiden wurden dabei derart geschwächt, dass sie in den Sechigerjahren schnell in die Abhängigkeit der Awaren gerieten. Ein Vertrag mit Byzanz um 546 erlaubte den Langobarden die Landnahme auch in Pannonien, dies nicht zuletzt als Sicherung gegen die fränkische Expansion. Eine Siedlung auf die Dauer aber war dort nicht möglich. Der Druck der Awaren, die, auch ihrerseits Bundesgenossen von Byzanz, in kurzer Zeit die Territorien nördlich der Donau bis an den Alpenrand besetzten, zwang die Langobarden unter Alboin 568 zum Abzug nach Italien, zusammen mit pannonischen, swebischen, herulischen, thüringischen und gepidischen Resten, dazu selbst einigen Sachsen, die indes bald wieder in ihre Heimat zurückkehrten.

In Italien war durch Byzanz 554 auf dem Gesetzwege die Rückkehr zur alten Ordnung verfügt worden. Die municipale Einteilung behielt man bei, auch Ämter und Funktionen auf regionaler Ebene, doch scheint man auf eine zivile Verwaltung vorerst verzichtet zu haben. Alle Erlasse der ostgotischen Regierung unter Totila wurden aufgehoben, was auch die Rückkehr der in dieser Zeit freigelassenen Sklaven zu ihren alten Herren und die Aufhebung ihrer mit Freien geschlossenen Ehen bedeutete. Schlimmer freilich war die steuerliche Belastung für die Bevölkerung; ein fünfjähriges Moratorium für Schuldzahlungen bewirkte zweifellos wenig in dem schwer mitgenommenen Land.

Den Langobarden gelang es nach Abberufung des hochbetagten Narses mühelos, Italien zu besetzen und die byzantinische Herrschaft abzulösen bzw. auf wenige Enklaven zu beschränken. Zwar zerfiel das langobardische Reich bei Ermordung des Königs 572 in 35 Herzogtümer. Eine neu sich herausbildende zentrale Regierung 584 vermochte nur die nördlichen von ihnen zusammenzufassen, die südlichen (Benevent, Salerno) blieben selbständig und konnten sich bis ins 12. Jahrhundert halten. Das Laangobardenreich geriet im 8. Jahrhundert unter fränkische Oberhoheit und wurde unter Karl dem Großen Teil des Fränkischen Reiches, der langobardische Bevölkerungsteil war um diese Zeit bereits weitgehend in der italienischen Bevölkerung aufgegangen.

Ein letzter Ausläufer dieser Entwicklung war die Herausbildung des baierischen Volkes nördlich der Alpen zwischen Lech und Enns. Begonnen hatte diese wohl bereits im 3. Jahrhundert mit dem Fall des Limes. Durchgangsland für alle Züge zwischen Ost und West, hatte dieses Gebiet besonders zu Beginn des 5. Jahrhunderts markomannische Reste aufgenommen, wie dies auch Bodenfunde bestätigen.

Nach Zerfall des Hunnenreiches wird es zu einem neuen Zustrom von verschiedenen Seiten gekommen sein. Für die Besiedlung selbst nimmt die Bodenforschung verschiedene, voneinander abgehobenen Phasen an. Eine wirkliche Kontrolle durch das Ostgotenreich ist trotz geäußerter territorialer Ansprüche (Cassiodor 3,50; 8,21) fraglich; nach der Abtretung 536 blieb die fränkische Oberhoheit bestehen. Die Ableitung des Namens, entweder aus einer bereits keltischen Bezeichnung für Böhmen oder einem Lande Baias, ist unklar; zur Umschreibung des Stammes fixiert ist er in der Mitte des 6. Jahrhunderts, was eine bereits weitgehende Verschmelzung der Teile voraussetzt. Erwähnt werden fünf Geschlechter wohl in der Rolle regionaler Territorialherren Der Name der Herzogsdynastie (Agilolfinger) wie der des ersten der Reihe (Garibald) weist auf langobardische Einflüsse hin, wozu um die Jahrhundertmitte auch dynastische Beziehungen kommen. Vor der endgültigen Eingliederung in das Frankenreich durch Karl den Großen spielten die Baiern in der Missionierung und zugleich in der Abwehr der Slawen eine herausragende Rolle.

Der Ausklang

Mit der langobardischen Landnahme in Italien ging die Völkerwanderung zu Ende, soweit sie die Germanen betraf. Die der nichtgermanischen Stämme und Völker, an sie angeschlossen und von ihr mitbedingt, hatten andere Voraussetzungen und auch andere Ziele; eine Wirkung des germanischen wie auch des römischen Vorbilds war vielleicht die Imperiumskonzeption des Attila. Eine innere Verschiebung innerhalb des Prozesses freilich ist nicht zu übersehen.

War von Anfang an das Fernziel aller Wanderungs- und Landnahmeversuche die Aufnahme in einem bestehenden Imperium Romanum, also in der gesamten antiken Welt mit ihren Vorzügen, ihren Lebensmöglichkeiten und ihrem Reichtum, dass heißt Eingliederung, Einordnung und Teilnahme an ihren Segnungen, so müssen sich diese Zuwanderer früh über die Unerfüllbarkeit solcher Erwartungen klar geworden sein. Die Gewalt, die in Plünderzügen, Angriffen und Verwüstungen seit dem 2. Jahrhundert das Verhältnis dieser Stämme und Völkerschaften zum Imperium kennzeichnete, war die unvermeidliche Reaktion auf diese Erkenntnis, neben der freilich zugleich immer noch die Hoffnung auf eine Erreichung der alten Ziele stand.

An Kräftezuwachs aus der Barbarenwelt war Rom zweifellos interessiert; Umfang und Form aber, in der ein solcher sich dem Imperium anbot, waren von diesem nicht zu verkraften. So blieb nur die Abwehr und der Versuch, bestenfalls außerhalb der Grenzen den Gegner zur Ruhe kommen zu lassen, ihm Hilfestellung zur Errichtung einer festen staatlichen Ordnung zu geben und ihm durch Subventionen und materielle Hilfe einen Teil des Erhofften zu vermitteln, um auf diese Weise dem Imperium selbst die notwendige Ruhe zu verschaffen.

Die zweite Phase, gegen Ende des 4. Jahrhunderts einsetzend, war die einer Bildung germanischer Reiche auf dem Imperiumsterritorium. Auch sie scheinen eine Form des Ersatzes für getäuschte Hoffnungen gewesen zu sein. Aber zugleich waren sie wohl indirekt bereits die Folge einer als notwendig erkannten Staatlichkeit unter Zuhilfenahme der erwähnten Hilfsmittel, der Herausbildung von Herrscherdynastien und einer den inneren wie den äußeren Umständen angepassten Struktur. Von da an war im Westen alle Bewegung nur noch Expansion in benachbarte Gebiete aus machtpolitischen Gründen; für die Franken war dies stets selbstverständlich.

Im 5. Jahrhundert wurde die Geschichte der Völkerwanderung zu der von etablierten germanischen Reichen, und auch neuer Zuzug ging in diesen auf. Geändert hatte sich auch die Richtung dieser Züge. War zweifellos am Anfang das ganze Imperium Ziel und Hoffnung zugleich, die Abschottung der östlichen Hälfte zwang zu einer Westdrift, die sich durch das Auftreten der Hunnen noch verstärkte. Dagegen war die Landnahme der ostgermanischen Stämme nach dem Tod Attilas nur noch von regionaler Bedeutung; eine Ansiedlung auf Imperiumsgebiet um jeden Preis ist nicht mehr für alle nachzuweisen.

Für all diese Staaten waren die eigene Stabilität und die Unabhängigkeit wichtigstes Ziel. So kamen die einzelnen Dynastien ohne eine führende Schicht zur eigenen Unterstützung nicht aus, wie immer sich die Eigenheiten wie auch die Privilegien dieses Adels von Fall zu Fall unterschieden haben mochten. Vordringlicher freilich war jeweils die Sicherung der Dynastie und mit ihr der Monarchie als solcher. Dieser Sicherung diente denn auch die Kodifikation des Rechts, wobei Elemente des römischen Rechts mit solchen germanischen verbunden wurden: bei den Westgoten unter Eurich, dann erneut 681, bei den Burgundern, den Franken, später bei den Langobarden und den Baiern, aber offenkundig nicht bei den Wandalen. Damit war auch die Möglichkeit geschaffen, den ehemals römischen Untertanen, deren Integration keine Schwierigkeiten bereitete, entgegenzukommen.

Man suchte auch die Lebensformen der antiken Welt beizubehalten und sich ihrer zu bedienen, aber diese blieben Äußerlichkeit, die Zivilisation der neuen Völker entwickelte sich eher von dieser weg. Das Lateinische als die im Offiziellen verbindliche Sprache geriet in einen Prozeß der Barbarisierung, obwohl es vor allem die Sprache der Kirche blieb und sich als entscheidendes Instrument der Christianisierung das Mittelalter hindurch hielt. Die Versuche, es der antiken Literatur gleichzutun, scheiterten.

Die Annahme des Christentums in seiner arianischen Form unterlag keinem Zwang. Ein Politikum scheint die Frage der Religion nur bei den Wandalen und dann bei Chlodwig gewesen zu sein. Dass die päpstliche Autorität mit der Zeit aber zu einem Ersatz für die nicht vorhandene kaiserliche wurde, liegt auf der Hand. Sie hat zweifellos später die Annahme des Katholizismus erleichtert. So mag man dennoch von einer Kontinuität der Zivilisation wie der Kultur sprechen. Wie weit sie von den Betroffenen als solche bewusst wahrgenommen wurde, bleibt zu fragen.

Das Ende der Völkerwanderung lässt sich verschieden ansetzen: mit der langobardischen Besetzung Italiens, aber auch schon mit dem Ende des Ostgotenreiches oder erst mit dem scheinbaren Ende einer mittelmeerischen Gemeinsamkeit als Folge der Ausbreitung des Islam. Mit dem Ende des Römischen Reiches ist es das gleiche. Von den bekannten Epochenjahren hat jedes seinen Sinn: 378 (Sieg der Goten bei Adrianopel), 395 (Reichsteilung nach dem Tod Theodosius'I.); 410 (Alarich in Rom); 455 (die Wandalen in Rom); 476 (Absetzung des Romulus durch Odoaker); 568 (Eroberung Italiens durch die Langobarden) oder erst 800, als mit der Kaiserkrönung Karls in Rom ein neues Zeitalter begann. Byzanz, untergegangen erst 1453, verkörperte die Tradition des Imperiums nur noch zum Teil.

© Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2004

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