Tabula Peutingeriana
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Bestattung und Totenkult im römischen Neuss
von Heinz Günter Horn
I. Totenkult IV. Bestattungsriten
II. Bestattungsplätze V. Grabmäler
III. Gräberfelder in Neuss VI. Literatur

Römischer und christlicher Totenkult


Bestattung Indira Gandhis
Verbrennung des Leichnams von Indira Gandhi 1984
Vor etlichen Jahren brachte das Fernsehen via Satellit eine Totenverbrennung in deutsche Wohnstuben: Da ist ein Podium errichtet, auf ihm aufgebahrt die wenige Tage zuvor ermordete indische Premierministerin Indira Gandhi, in kostbare Gewänder gehüllt und Blumen geschmückt. Frauen singen laut Klagelieder. In der Nähe der Toten steht ihre Familie, allen voran ihr Sohn, zum Zeichen der Trauer weiß gekleidet. Er gibt wartenden Dienern ein Zeichen, den Leichnam mit Holzscheite zu umstellen, segnet den Scheiterhaufen mit heiligem Wasser, nimmt eine brennende Fackel und setzt ihn in Brand. Mit unbeweglicher Miene und stumm, aber nicht ohne innere Anteilnahme beobachten Sohn, Familie und Volk, das sich dicht gedrängt auf dem Verbrennungsplatz versammelt hat, wie das Feuer auflodert und der Körper der Toten allmählich ein Raub der Flammen wird.

Kurze Zeit später ging ein dpa-Photo um die Welt: es zeigt Raidjan Gandhi, der die Asche seiner Mutter und die Reste des Scheiterhaufens in Urnen abfüllt. Aus der Bildunterschrift ist zu erfahren, daß 30 Urnen gefüllt wurden. Der Inhalt von 29 sollte über dem Himalaja verstreut werden, eine Urne sollte der Sohn mit nach Hause nehmen, um ihr im Familienschrein einen Ehrenplatz zu geben.

Kein Ereignis der letzten Jahre erinnerte so sehr an griechisch-römische Bestattungsrituale wie die Totenverbrennung der Indira Gandhi; keines verdeutlichte dem christlich geprägten Abendland so eindrucksvoll, daß die antiken Vorstellungen von der Körperlichkeit des Menschen, die im Tode besonders erfahren wird, seiner Befreiung von der Materie durch das reinigende Feuer und dem ehrenden Gedächtnis an den Verstorbenen durch seine neuerliche Einbindung in die Welt der Lebenden dort auch heute noch faßbar sind, wo dies die Religion zuläßt.

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Nach christlicher Lehre erwarten den Menschen nach dem Tode dank Christi Kreuzestod und Auferstehung im Jenseits die Unsterblichkeit der Seele und die immerwährende Anschauung Gottes im Kreise der Heiligen und anderer Gerechten. Diese Vorstellungen sind völlig unrömisch: Nach römischer Auffassung war das Jenseits ein Reich der Schatten, das keine glückseligen Verheißungen, am wenigsten ein erstrebenswertes Fortleben nach dem Tode bot. Es war die Unterwelt, Orcus (Verschließer) oder auch Hades (Unsichtbarer) genannt, in dem - griechischen Mythos folgend - Pluto, Ceres und Proserpina herrschten. Die Schilderungen des Ortes in Bild und Wort - soweit sie sich im Römischen niedergeschlagen - stehen in griechischer Tradition: Da steigen Helden herab wie Herakles, Orpheus und Odysseus. Sie finden dank göttlichen Schutzes ebenso wieder zurück an die Oberwelt wie Aeneas, der Stammvater der Römer. Sie sehen Charon, den Fährmann, und Büßer wie Tantalos, Sisyphos und Ixion. Die viel zitierten "Insel der Seligen" waren ohnehin Utopie. Unsterblichkeit hatten nach dem Glauben der Griechen und Römer nur wenige Menschen erhalten; sie waren in den Olymp entführt oder aufgenommen worden, wie Ganymed, der Liebling des Zeus-Jupiter, oder Herakles nach unsäglichem Leiden.

Die Philosophie und ihre Vorstellungen vom Körper als dem Gefängnis der Seele, vom Tode als ihrer Befreiung und ihrem anschließenden Aufstieg durch die Himmelsphären, wie sie etwa im "Somnium Scipionis" des römischen Redners, Staatsmannes und Philosophen Cicero so eindrucksvoll beschrieben werden, fanden in den römischen Bestattungssitten und im römischen Totenkult - soweit wir sehen - keinen direkten oder überhaupt Niederschlag. Für philosophische Überlegungen waren auch in römischer Zeit nur die Gebildeten empfänglich, und selbst die reagierten angesichts ihrer Verstorbenen dann doch typisch römisch, wie wir beispielsweise bei der berühmten Gens Cornelia in Rom, Anhänger der platonisch-stoischen Lehre, beobachten können.

Für die Römer lebten die Toten allein in der Erinnerung der Lebenden weiter; dies war die einzige Form der Unsterblichkeit: Ruhm und Ansehen im Gedächtnis der Nachwelt, eine Unsterblichkeit im Diesseits also. So unterhielt die bereits erwähnte Familie der Cornelier an der Via Appia bei Rom einen der prächtigsten Grabbauten; auf den Sarkophagen im Inneren waren in schier endlosen Inschriften die Staatsämter der Verstorbenen und ihre Taten für Volk und Vaterland, u.a. auch die des P. Scipio Africanus, des Siegers von Zama gegen Karthago im Jahre 202 v.Chr., aufgelistet.

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