Kölner Stadt-Anzeiger, 29. August 2001

Spurensuche im Schatten von Riesenbaggern

Braunkohle-Tagebau

Katja-Corina Bothe

Wenn erst der Bagger kommt, ist es für Holger Kels zu spät. Dem jungen Wissenschaftler bleibt nicht viel Zeit, mit Spachtel und Pinsel kleinste Überreste der Eiszeit freizulegen und die Erdschichten mit Papier und Bleistift zu dokumentieren.

Denn dort, wo Bergarbeiter mit schwerem Gerät Kohle abbauen, erklimmt der Geologe die Abbauwände, um den Boden zu erforschen und Mammutzähne, Rentierrippen, Tausende Jahre Menschheitsgeschichte vor der Zerstörung zu sichern.

Mehr als 2200 Meter lang ist das Gebiet, das er im Braunkohlerevier Garzweiler bereits untersucht und dokumentiert hat. In den bis zu 20 Meter tiefen Schichten kann der 29-Jährige lesen wie in einem Buch. Welches Klima herrschte in der letzten Warmzeit, welche Pflanze, welche Tiere gab es hier, und welche Landschaft fand der Neandertaler vor - wenn man Holger Kels zuhört, kann man das wollhaarige Nashorn, das in der letzten Eiszeit hier lebte, bildlich vor sich sehen.

Das Element des Geologen ist die Erde. Die prähistorischen Funde sind die Dreingabe, die der Boden liefert. Wenn der angehende Doktor, der an der Universität Düsseldorf studiert, einen Knochen entdeckt, alarmiert er die Wissenschaftler des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln. Diese können dann feststellen, um welches Tier es sich handelt. "Archäologen sehen sogar, ob das Tier erlegt wurde oder woran es sonst gestorben sein könnte", erklärt Kels.

"Das Besondere an dem Projekt ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit", erklärt der junge Wissenschaftler, dessen Arbeit gerade von der Stiftung Archäologie im Rheinischen Braunkohlerevier mit einem Promotionsstipendium belohnt wurde. Der Stiftung gehören das Land NRW, die RWE Rheinbraun AG und der Landschaftsverband Rheinland an. Die Forschung zur Archäologie im Braunkohlegebiet wird seit 1990 gefördert.

Die Erkenntnisse, die Kels bei seiner Analyse der Erdschichten gewinnt, dienen den Archäologen als Vergleichsmöglichkeit. Anhand der Erdschichten können sie ihre Funde zeitlich einordnen. Garzweilers Abbauwände bieten an einigen Stellen Einblick in bis zu 130 000 Jahre Geschichte.

Ganz unten, dort wo die Schicht mit Braunkohle beginnt, hat Kels das alte Bett des Ur-Rheins entdeckt. Dessen Schotter ist sogar bis zu 500 000 Jahre alt. "Der Fluss war damals viel breiter als heute, hatte unzählige Ausläufer", so der Forscher. Darüber liegt die letzte Warmzeit, erkennbar an dem dunklen Erdton. "Das Klima damals war wärmer, subtropischer. Die Vegetation viel üppiger", erklärt Kels.

Dann kam die Eiszeit. Die Landschaft glich der in Sibirien. Viel Eis, kaum Vegetation. Trotz des rauen Klimas lebten in dieser Epoche - erkennbar an der rötlich gefärbten Erde - zahlreiche imposante Tiere hier.

"Wir haben Knochen von Mammuts, Rentieren, Wölfen und Hyänen gefunden", zählt Kels auf. Auch die Neandertaler hinterließen ihre Spuren in dem heutigen Tagebau. Besonders Waffen, aus Stein gehauen, sind erhalten geblieben. Damit erlegten die Menschen, wenn sie Glück hatten, Mammuts oder andere große Tiere, von denen ihre Sippe lange essen konnte.

Weitere Informationen:
www.archaeologie-stiftung.de

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