Presseamt der Stadt Neuss, 11. Juli 2001

Marodierende Soldaten beim Kriegsmahl gestört

Neuss (PN/KL/001). Auf einen überaus ungewöhnlichen Fund stießen jetzt Neusser Archäologen bei Grabungen im Innenbereich des alten Neusser Telegrafenamtes. Neben den mächtigen Fundamenten, Öfen und Abluftkanälen der vorher dort tätigen Maschinenfabrik Reinartz (um 1890) und einem verfüllten Keller und Ziegelschacht des 17. und 18. Jahrhunderts wurde eine Abfallgrube mit sonderbarer Zusammensetzung aus dem späten 16. Jahrhundert ausgegraben. In der flachen Grube fanden sich die zerscherbten Reste von hochwertigen Steinzeugkrügen. Solche in Köln und Brühl hergestellten Krüge waren einmal von ausgezeichneter Qualität und kamen in Neusser Haushalten nur selten und wenn überhaupt nur in Einzelexemplaren vor. Relikte aus kriegerischer Zeit.

Neben den zerschlagenen Krügen stießen die Archäologen außerdem auf das ganz erhaltene Skelett eines Rindes. Der Kadaver war auf sehr kleinem Raum zusammengeschoben. Der Kaarster Zoologe Hans Peter Krull, der das Skelett untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass es sich um ein kleines weibliches Tier von zirka drei Jahren gehandelt haben musste. Die Schlachtspuren zeigten, dass von dem verendeten Tier lediglich aus der Nackenmuskulatur ein Bratenstück herausgeschnitten worden war. Der ungewöhnliche Fund legt, so die Neusser Archäologin Sabine Sauer, folgende Interpretation nahe: Im truchsessischen Krieg im Jahre 1586 hatten marodierende Soldaten bei Beutezügen in den adeligen Landsitzen oder Klöstern der Umgebung eine schöne Palette von Trinkgeschirr erbeutet. Zusammen mit der Kuh hätte sich damit wohl ein oppulentes Kriegsmahl ausstatten lassen; doch die Serie von Angriffen und Gegenangriffen im Kampf um Neuss hat das Vorhaben wohl vereitelt. Bereits im vergangenen Jahr hatten die archäologischen Arbeiten im Bereich des Innenhofs des ehemaligen Telegraphenamtes begonnen. Das Areal liegt am Rande des römischen vicus (Zivilsiedlung) und innerhalb des mittelalterlichen Stadtkerns. Aus der gleichen Zeit wie die Abfallgrube mit den mutmaßlichen Resten des truchsessischen Kriegs rührt ein schmaler, nach einer Brandkatastrophe eingeebneter Keller an der Michaelstraße her, der mittlerweile unter der Baustellenzufahrt liegt. Ebenerdig, im Anschluß an die Kellerwand konnten die Archäologen einen fischgrätartig verlegten Bodenbelag mit einer angrenzenden Kaminstelle beobachten. Der Boden der Kaminstelle war aus rund 30 mal 30 Zentimeter großen Mosaikfeldern aus sternförmig angeordneten, hochgestellten Schieferplatten erbaut worden. Die Rückseite dieses Kaminfundamentes wurde übrigens im Keller des abgerissenen Hauses Ermbter angetroffen. Der Keller wurde maßstäblich aufgenommen und dokumentiert. Teile des Kellers, so eine Basalttuffmauer an der Michaelstraße, stammen noch aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammte eine Mauer, die überraschenderweise 3,5 Meter unter der Oberfläche bei den Ausschachtungsarbeiten für einen Fahrstuhlschacht hinter dem Gebäudeeingang an der Michaelstraße zum Vorschein kam. Ein noch spannenderer Befund konnte beim Anlegen des Fahrstuhlschachtes hinter der Eingangstür an der Promenadenstraße gemacht werden.

Die "Bombe": Ein Römergrab

In der Baugrube zeichnete sich im Profil plötzlich eine rostige, rotbraune, rund vierzig Zentimeter sichtbare Halbkugel ab, die die erschrockenen Bauarbeiter sofort an einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg denken liess. Der hektisch herbeigerufene Kampfmittelräumdienst konnte jedoch schnell Entwarnung geben: die Kugel war nicht aus Metall sondern aus Keramik. Eine Nachuntersuchung der Archäologen zeigte, dass die Bauarbeiter auf eine römische Bestattung gestossen waren. Von der ehemaligen Grabgrube war sogar noch der Sargschatten zu sehen. Auch einige Sargnägel waren noch erhalten. Das kugelbauchige Doppelhenkelgefäß war eine Grabbeigabe, die erstaunlicherweise in das 4. Jahrhundert, also in die Spätphase der römischen Besiedlung, datiert. Gräber diesen Alters waren vom Westrand des vicus bislang noch nicht bekannt.

Neusser Düppebecker

Nach dem Abbruch der beiden nördlich an das Telegraphenamt angrenzenden Nachbarhäuser wird nun diese Freifläche seit einigen Wochen archäologisch untersucht. Direkt unter dem Hofpflaster kam eine Schuttschicht zu Tage, die fast ausschließlich aus zerscherbter Irdenware, Fehlbränden und Brennhilfen bestand. Den Neusser Archäologen war klar: hier hat wieder einmal ein Neusser Töpfer seine Spuren hinterlassen. Neusser Töpfer, auch "Düppebecker" genannt, sind urkundlich seit dem späten 17. Jahrhundert bekannt. Sie fertigten Produkte aus sogenannter Irdenware; das war das tägliche Gebrauchsgeschirr wie Teller, Schüsseln oder dreibeinige Grapen. Anders als bei den hochspezialisierten Steinzeugtöpfern, die auf qualitätsvolle tertiäre Tone angewiesen waren, konnten sich Düppebecker überall am Niederrhein niederlassen und mit den lokal vorkommenden Tonen arbeiten. In Neuss wurden diese Tone vom Gemeindeland, aus dem Hammfeld, vermutlich aber auch aus der Krurniederrung gegen eine Gebühr gewonnen. Die Endprodukte bestanden aus rotgebranntem Ton, der durch eine Bleiglasur wasserundurchlässig gemacht wurde. Zur Dekoration verwendete man einen zumeist hellen Schlickerauftrag, der mit dem Malhorn aufgetragen wurde. Grüne Dekore wurden mittels Kupferoxit hergestellt. Den Neusser Töpfern sind die städtischen Archäologen, aber auch einige private Sammler schon seit geraumer Zeit auf der Spur. So konnte bereits bei den Ausschachtungsarbeiten an der Windmühlenstraße am Wasserturm in der Verfüllung des alten Zitadellgrabens das Abfalldepot eines Töpfers aus der Zeit um 1740 ausgegraben werden. Neben Gebrauchsgeschirr hat man in Neuss offensichtlich auch kleine Weihwasserbecken, Engel und Heiligenfigürchen produziert. Tonmodel und Brennhilfen sind auch vom Gelände der Sparkasse vor dem Weißen Haus und von der Neustraße bekannt. Offensichtlich waren die Töpfer in einem Ring vor der westlichen Stadtbefestigung angesiedelt.

Grüne Pfeifen - eine Neusser Spezialität

Brennhilfen, die zu über Hunderten gefunden wurden, dienten normalerweise dazu, beim Brand des Geschirrs im Töpferofen ein Aneinanderbacken der gestapelten Ware zu verhindern. Unter den Neusser Funden kehrt allerdings eine Sonderform immer wieder: flache, rechteckige oder auch runde Tonplättchen aus Irdenware mit abgebrochenen Stielenden von weißen Tonpfeifen und einer heruntergetropften grünen oder gelben Glasur. Offensichtlich hatte man in Neuss eine am Niederrhein einzigartige Produktionsnische entdeckt. Man bezog aus Siegburg oder aus den Niederlanden die im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen, weißen Tonpfeifen und veredelte sie in Neuss, indem man sie grün, seltener auch gelb glasierte und ein zweites Mal brannte. Solche Glasurhilfen kamen nun auch an der Michaelstraße wieder zu Tage. Hier hat man allerdings nicht nur Feines, sondern auch Grobes produziert: Ein grober Packen ineinander verschmolzener Dachziegel spricht für eine Ziegelproduktion in der Stadt. Dies verwundert allerdings, hatte man bislang doch angenommen, dass Dachpfannen wie Ziegel vor der Stadt im Hammfeld produziert wurden. Aber vielleicht hat der Töpfermeister hier auch wieder nur veredelt und die fertigen Pfannen für ausgesuchte Bauvorhaben nachträglich glasiert. Der größte Überraschung bot sich den Archäologen in der hintersten Grundstücksecke am Rande zur Nachbarbebauung. Hier wurde ein langgestreckter, gewölbter Töpferofen aufgedeckt. Der Ofen besteht aus einer viereckigen gemauerten Heizergrube, die an den lang-ovalen Brennraum anstößt. Heizergrube und Brennraum sind durch ein kleines Gewölbe - das Schürloch - miteinander verbunden. Am Anfang des Brennraums fand sich der Feuerungsraum mit der Ofenbrust. Dahinter wurde das Brenngut auf einem Ziegelboden gestapelt. Unter diesem Ziegelboden sind noch zwei gemauerte Feuerungskanäle zu erwarten, durch die die heiße Luft geleitet wurde. Am Ende des Brennraums stand der Kamin. Er ist jedoch bei dem gefundenen Ofen bis auf den untertägigen Bereich abgebrochen. Töpferöfen sind aus den rheinischen Töpferorten wie Langerwehe, Brühl und vor allem aus Frechen zu Dutzenden bekannt. In Neuss aber ist dies der erste Ofenfund. Das Scherbenmaterial aus der Umgebung datiert aus der Zeit zwischen 1730 und 1830. Der Ofen selbst scheint in die Endphase der Produktion im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zu datieren.

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