NGZ-Online, 11. September 2000

Forscher finden mittelalterliche Siedlung

Alte Kirche aus Geldnot verschachert

Von Petra Schiffer

In Alt-Garzweiler lebte im Mittelalter ein Adliger mit seiner Familie und rund 50 Bauern, die seine Felder bestellten. Hinweise auf eine größere Hofanlage aus dem 12. Jahrhundert entdeckten jetzt Archäologen, die den Boden untersuchen, bevor die Kohle-Bagger anrücken und das Gelände in eine tiefe Grube verwandeln. Sie stießen auf den Grundriss einer romanischen Kirche und fanden Keramik-Scherben und alte Knochen. "Wenn alle Funde ausgewertet sind, können wir wahrscheinlich sehr genau sagen, wie das Leben in Garzweiler vor 700 Jahren aussah", meint Ausgrabungsleiter Dr. Michael Schmauda.

Grabung in Alt-Garzweiler
Archäologen sind bei Ausgrabungen in Alt-Garzweiler auf Überreste einer mittelalterlichen Siedlung gestoßen. Vermutlich war die größere Hofanlage von einem Adligen, seiner Familie und 50 Bauern bewohnt.
NGZ-Foto: M. Reuter

"Auf den ersten Blick sehen unsere Funde nicht besonders spektakulär aus", erklärt der Experte des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege. "Doch oft lassen die Überreste alter Abfälle das Herz eines Archäologen höher schlagen als Goldstücke." Denn über die Lebensgewohnheiten der einfachen Leute im Mittelalter ist heute nur wenig bekannt. Der Grund: Die Geschichtsschreiber konzentrierten sich bis ins 20. Jahrhundert fast ausschließlich auf Kaiser, Könige und andere hohe Machthaber im Reich, die "normale Bevölkerung" tauchte in den Chroniken nicht auf.

Deshalb sind abgenagte Knochen oder 700 Jahre alte Geschirr-Scherben interessante Funde, weil sie Rückschlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten der Bauern und ihrer Familien zulassen. "Unter den Keramik-Resten haben wir auch einige Scherben römischen Ursprungs entdeckt", erzählt der Archäologe. "Wir vermuten jedoch, dass es sich um Töpfe handelt, die zwar aus römischer Zeit stammen, aber von den Menschen im Mittelalter benutzt wurden, eine antike Villa rustica hat es an dieser Stelle nicht gegeben." Enttäuscht waren die Wissenschaftler trotzdem nicht, im Gegenteil: Fundstellen aus dem Mittelalter sind im Rheinland wesentlich seltener als römische Siedlungen.

"Der Komplex in Garzweiler ist archäologisch sehr wertvoll", betont der Denkmalschützer. Ein "Highlight" der Ausgrabungen: der Grundriss einer mittelalterlichen Kirche, den die Experten rund 50 Meter nördlich von dem neuen, 1860 eingeweihten Gotteshaus in Garzweiler ausmachen konnten. "Dort muss es einen romanischen Kirchenbau gegeben haben", ist sich Michael Schmauda sicher. "Das rechteckige Kirchenschiff und die Form des Chorraums sind eindeutige Merkmale für die Romanik im Rheinland." Untersuchungen der Steine ergaben, dass die Kirche im 17. Jahrhundert renoviert und erweitert worden sein muss.

"Nach unseren Erkenntnissen war Garzweiler seit dem Mittelalter durchgehend besiedelt, der Ort war bis zur Umsiedlung nie verlassen", meint der Forscher. Mit dem alten Gotteshaus gingen die Menschen des 19. Jahrhunderts nicht zimperlich um: Weil sie das Geld für einen neuen, größeren und prächtigeren Bau mit tiefen Fundamenten brauchten, verwandelten sie die alte Kirche in einen Steinbruch und verkauften alles vom Dachstuhl bis zu den Bodenplatten. In der Nähe der Kirche stießen der Ausgrabungsleiter und sein Team auf so genannte Grubenhäuser, ausgehobene Erdlöcher mit Dächern, die als Wirtschaftsgebäude, genutzt wurden und einfache Pfostenbauten aus Holz, in denen die Menschen wohnten.

Der gesamte Hof mit Kirche und allen Bauten war mit einem Graben umgeben, um das Gelände besser verteidigen zu können. "Es ist aus Quellen bekannt, dass hier in der Nähe ein niederer Adliger gewohnt hat, der sein Lehen wahrscheinlich vom Herzog von Jülich erhielt", berichtet Schmauda. "Es kann gut sein, dass wir auf den Hof dieses Herren gestoßen sind. Mit Sicherheit können Historiker diese Vermutung aber erst bestätigen, wenn das gesamte Material ausgewertet ist." Das kann jedoch noch lange dauern, denn die Ausgrabungen sind noch nicht abgeschlossen, und die Interpretation der Funde nimmt ebenfalls Jahre in Anspruch.

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